Wenn´s knatscht und knirscht – Streiten mit der Jahreslosung
Kurzbeschreibung
Überlegungen zur Jahreslosung im Alltagleben der Kita.
Die Jahreslosung 2024 ist eine Herausforderung: “Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe” (1.Kor 16,14). Wie kann dieser Satz in einer Kindertageseinrichtung im Jahr 2024 eine Bedeutung haben? Was kann er den Menschen, die dort viel Zeit ihres Lebens verbringen, sagen? Diese Fragen haben mich in den letzten Wochen bewegt und ich möchte euch mit diesem Beitrag mit in die Überlegungen hineinnehmen.
Pädagogische und religionspädagogische Überlegungen
Die Jahreslosung ist ein “netter Satz”, wenn alles läuft und die Wellen des Alltags überschaubar bleiben, wenn in der Kita ein Fest gefeiert wird, vielleicht ein Geburtstag, wenn die Stimmung ausgeglichen und fröhlich ist. Doch natürlich enthält jeder Tag auch andere Momente, solche in denen es an den unterschiedlichsten Punkten “knatscht und knirscht”, zwischen Kindern ebenso wie zwischen Erwachsenen. Wenn die Jahreslosung im Alltag der Kita etwas zu sagen haben kann, dann vielleicht gerade in diesen Momenten. Streiten oder Konflikte austragen im Angesicht dieser Losung: Kann das denn möglich sein?
Eine Herausforderung hierfür besteht vielleicht schon ganz grundsätzlich darin, dass Konflikte im Alltag eher als “Störungen” denn als kreative Herausforderungen wahrgenommen werden. Und das entspricht oft ganz “normalen” Alltagserfahrungen. Die Kita-Tage sind angefüllt mit Aufgaben und Ereignissen. Ein Konflikt kommt zu diesen dazu und erfordert im Grunde eine Unterbrechung, die so nicht geplant ist.
Ganz unabhängig vom Leben in der Kita gibt es viele Parallelen in unserer gesellschaftlichen, kulturellen oder biografischen Prägung. Ich möchte einen kurzen Abstecher in die Welt der Märchen wagen. Im Märchen begegnen in der Regel die Heldinnen und Helden ganz unterschiedlichen Herausforderungen oder Bedrohungen. Sie erleben tiefe Konflikte. In der Auflösung derselben verhält es sich so, dass die Bedrohungen eliminiert werden. Die Ordnung wird wieder hergestellt, indem die Störung “weggemacht” wird. Der Wolf muss sterben, die Hexe im Ofen brennen, dann ist wieder Frieden für alle anderen, die glücklich bis an ihr Ende leben können. Für mich liegt die Vermutung nahe, dass sich hierin auch eine Perspektive auf Konflikte zeigt, eine Lebenshaltung, die viele Erwachsene prägt. Ich frage mich, ob sich das nicht alternativ denken ließe? Kann man andere Lösungen finden, in denen ein Lebensrecht für alle erhalten bleibt? Lösungen ohne Verlierende?
Wenn man das kreative Potential von Konflikten, die ihnen innewohnende kreative Kraft sehen könnte, die wie “Salz in der Suppe des Lebens” wirkt, dann würden sie eventuell weniger bedrohlich oder störend erscheinen. Das wäre eine grundsätzlich andere Lebensperspektive, die in erster Linie für Erwachsene bedenkenswert wäre. Denn Kinder bekommen im Zusammenleben mit Erwachsenen in der Kita natürlich mit, wie diese auf Konflikte oder Störungen reagieren und mit ihnen umgehen.
Zurück zur Jahreslosung: Wie können Menschen “in Liebe” “streiten” lernen? Diese Frage beschäftigt mich, seitdem mir die Jahreslosung für das Jahr 2024 über das Netz zuflatterte. “Lieben” und “Streiten” zugleich. “Streiten” ist vielleicht das passendere Wort für die Kita, besser als “Konflikte austragen” o.ä.. Beide wirken auf mich wie ein Gegensatz. Aber vielleicht ist das ja ein Trugschluss. Vielleicht ist es möglich, den Satz auch ganz anders zu lesen. Ich versuche es mit Fragen:
Wie können Menschen lernen, so zu streiten, dass sie selbst und auch die Streitpartner im übertragenen Sinn “am Leben bleiben”? Wie können wir eine Atmosphäre schaffen, in der Anerkennung, Achtung und Wertschätzung für uns selbst und für andere Raum haben? Wie können die Konflikte in einer solchen Atmosphäre ihr kreatives Potential entfalten? Wie sind Konflikte ohne Verlierende möglich?
Vielleicht sind das utopische Gedanken, aber mindestens Ausdruck einer Hoffnung. Ich halte es deshalb für lohnenswert die Jahreslosung zum Anlass für diese Fragen zu nehmen und mit den Kindern nach Antworten zu suchen und gemeinsam zu überlegen, wie sie mit Leben gefüllt werden können.
Ihre unterschiedlchen Antworten werden auch solche sein, die in einem größeren Zusammenhang stehen, die zukunftswirksam sind und gesellschaftsstiftend wirken. Sie tragen zu einem demokratischen Zusammenleben bei, das am Frieden festhält.
Und wie kann das gehen?
Wie ist es möglich einer wertschätzenden und anerkennenden Streitkultur in der Kita ein Gesicht zu verleihen? Gerade in Konfliktfällen liegen die Nerven bei allen Beteiligten oft blank: Es ist wenig Zeit, alle wollen was und dann knallt es auch noch ….
Die Arbeit an herausfordernden Situationen im Alltag braucht vielleicht genau so ein “Formular” wie es solche für positiv besetzte Anlässe auch gibt. In vielen Kitas gibt es diese zum Beispiel für Geburtstagsfeiern oder große Anlässe im Jahr. Warum nicht auch fürs “Streiten”? Die Chance besteht darin, dass ein solches Formular in einer eher stressigen Situation an wichtige Werte im Zusammenleben erinnert und es leichter macht, friedvolle und kreative Konfliktlösungen anzubahnen, weil sich jede Person an eine Art “Fahrplan” halten kann.
Ein solches “Streitformular” muss mit den Kindern gemeinsam entwickelt und immer wieder neu verhandelt werden. Erst dann kann es sich im Alltag als tragend erweisen. Es ist darüber hinaus nicht unmittelbar zu vereinheitlichen, sondern muss von Situation zu Situation und Konstellation zu Konstellation variiert werden. Dennoch kann es eine unterstützende Struktur für das Einüben von kreativen Konfliktlösungen, die auf Anerkennung und Wertschätzung basieren, bieten.
Die im Folgenden skizzierten Elemente bilden eine Sammlung von Ideen, die für ein solches “Streitformular” hilfreich sein können. Jede der Überlegungen beschreibt vorerst Gedanken und Impulse, die im Alltag der Kita mit Leben gefüllt werden. Ideen aus der Praxis sind daher herzlich willkommen!
Elemente für ein Streit-Formular
Sich auf eine kreative Konfliktlösung vorbereiten – Batterien auftanken
Sich Gutes sagen
Sich auf eine kreative Konfliktlösung vorbereiten – Batterien auftanken
Um sich für kreative Konfliktlösungen zu öffnen, ist es notwendig, sich selbst in einem ruhigen, sicheren und selbstbewussten Zustand zu versetzen. Mediations- und Konfliktlösungsstrategien unterschiedlichster Art bauen darauf auf. Aber wie geht das mit Kindern? Es gibt ein großes Angebot positiver Affirmationen, die bereits mit Kindern in der Kita kultiviert werden können. Für die Vorbereitung auf eine Konfliktlösung sind zwei Aspekte entscheidend: Von sich selbst in positiver Weise denken und von seinem Konfliktgegenüber in positiver Weise zu denken. Solange eine Person denkt, der andere sei der “Feind” oder “Gegner”, wird eine Konfliktlösung eher auf Gewinnende und Verlierende hinaus laufen und weniger auf Lösungen, die von Anerkennung und Wertschätzung aller geprägt sind.
Wie trainieren wir, uns “Gutes” zu sagen? Vielleicht ist das ja eine Perspektive, die regelmäßig – auch völlig unabhängig von Konflikten – eingeübt werden sollte. Zum Beispiel, indem in jeder Woche mit den Älteren in der Kita gesprochen wird, was jede einzelne Person in den zurückliegenden Tagen getan hat, was das Erleben einzelner oder aller bereichert hat… Mit Kindern ab 4 Jahren kann dies bestimmt funktionieren.
Was machst du mit den Kindern in der Kita, um sich gegenseitig Gutes zu sagen? Falls du Lust hast, dies in 2024 auszuprobieren: merkst du, dass sich das “Klima” in eurer Gemeinschaft verändert?
Eskalation durchbrechen – Energie abbauen
Dampf ablassen
Eskalation durchbrechen – Energie abbauen
Wenn es Konflikte im Miteinander gibt, dann kochen Emotionen manchmal sehr hoch. Es macht keinen Sinn, in einem solchen Moment in eine kreative Auflösung einzusteigen. Ein Mensch im Stress kann angreifen oder flüchten. Dieses menschliche Urverhalten gilt für jedes Lebensalter.
Umso sinnvoller ist es, allen am Konflikt Beteiligten Gelegenheit zum Energieabbau zu geben. Eine Runde toben, mit festen Regeln rangeln und ringen oder was auch immer dazu beitragen kann, Stress abzubauen, kann dabei helfen.
Was hilft in deiner Kita, damit Kinder und Erwachsene Gelegenheit bekommen “Dampf abzulassen”?
Verabredung für ein Unterbrechungs-Signal
Stop-Signal
Verabredung für ein Unterbrechungs-Signal
Konflikte sind oft eine Herausforderung im turbulenten Alltag. Sie zeigen an, dass der gewohnte Ablauf unterbrochen werden muss. Häufig kochen die Emotionen hoch und ein “Stop-Signal” dient zuallererst dem körperlichen und seelischen Schutz aller Beteiligten, damit eine Eskalation verhindert wird. Was kann ein solches Stop-Signal sein, auf das sich alle, die zur Kita-Gemeinschaft gehören, einigen können? Vielleicht ein sichtbares Schild, ein Handzeichen oder eine Geste? Unabhängig davon, wie dieses Signal am Ende aussieht, sollte die Bedeutung von allen geteilt werden: Das Stop stellt eine Unterbrechung dar. Ein Stop ist wie ein Schutzschild.
Hast du in deiner Kita verabredete “Stop-Signale”? Wie sehen diese bei dir aus und wer hat entschieden, welches gerade gültig ist?
Zuhören und andere Perspektiven hören
Anderen Zuhören
Zuhören und andere Perspektiven hören
Anerkennendes Zuhören und Sprechen sind für kreative Konfliktlösungen unerlässlich. Wenn ich anderen zuhöre, kann ich mir bewusst machen, dass diese Person für sich selbst spricht. Sie sagt ihre Sicht auf die Welt und das, was sie erlebt hat. Wenn ich zuhöre, kann ich Gefühle und grundlegende Bedürfnisse wahrnehmen. Dafür braucht es eine aufmerksame, wertschätzende, zuhörende Haltung, die nicht urteilt.
Es ist nicht davon auszugehen, dass Kinder und Erwachsene automatisch solche grundlegenden Kommunikationsformen in ihre Lebensperspektiven integriert haben. Für kreative Konfliktlösungen sind sie jedoch unerlässlich. Solange ich Vorwürfe höre oder denke, die andere Person möchte mir Schaden zufügen, werde ich nicht wertschätzend und anerkennend zuhören können.
Im Alltag ist ein aufmerksames Zuhören daher vermutlich ein beständiges Übungsfeld. Zuhören und Wahrnehmen, was eine andere Person von sich selbst äußert…
Wie übst du ein anerkennendes Zuhören in deinem Alltag mit Kindern? Hast du dafür Methoden und Tricks, die mit den Kindern gut funktionieren?
Von sich selbst sprechen
Sich selbst mitteilen
Von sich selbst sprechen
In Konfliktfällen kann es nicht darum gehen, sich selbst und eigene Bedürfnisse über den Haufen zu werfen. Vielmehr ist es notwendig herauszufinden, worum es einer Person in einem Konfliktfall geht. In dieser Perspektive: Wie geht es mir selbst, wie fühle ich mich? Was brauche ich (unabhängig von den Personen, die beteiligt sind)? Welche Bedürfnisse liegen durch den Konflikt bei mir selbst obenauf?
Das Sprechen in Gefühlen und Bedürfnissen ist vielen Erwachsenen und Kindern wenig vertraut. Da ist es oft schwer, Worte zu finden, um sich auszudrücken.
Das Sprechen in Gefühlen und Bedürfnissen eröffnet einen Weg, um kreativen Konfliktlösungen auf die Spur zu kommen. Unterstützung bieten beispielsweise Übungsmaterialien zur gewaltfreien Kommunikation mit Kindern (Giraffimo oder Was brauchst du?).
OER-Material existiert in diesem Bereich leider nur vereinzelt und wenn dann nicht für den spezifischen Kita-Kontext.
Wie bringst du im Alltag mit den Kindern Gefühle und Bedürfnisse ins Spiel? Wie erlebst du, dass Kinder damit umgehen?
Unabhängig von Konflikten
Kreatives Erzählen: Und sie lebten ALLE glücklich …. bis
Unabhängig von Konflikten
In den Bücherecken der Kitas finden sich unzählige Geschichten, die von Konflikten und Streit erzählen. Oft gibt es in diesen klare Gewinner und Verlierer und eher seltener kreative Konfliktlösungen, mit denen die Anliegen und die Motivationen aller Beteiligten einen Platz bekommen. All solche Geschichten, vom klassischen Märchen bis hin zu aktuellen Bilderbüchern aus der Kinderliteratur laden dazu ein, die in ihnen enthaltenen Konflikte und Konfliktlösungen noch einmal alternativ anzuschauen: Wie könnte Rotkäppchen erzählt werden, ohne dass der Wolf sterben muss? Wie können Hänsel und Gretel die Hexe verlassen, ohne dass diese getötet werden muss? Kinder im Kitaalter können zu solchen phantasieanregenden und kreativen Erzählprozessen eingeladen werden. Vielleicht entstehen daraus ganz neue Erzählweisen und Perspektiven auf Geschichten, die Vielen sehr vertraut sind. Dazu zählt natürlich auch, Phantasien zu den Motiven der einzelnen Akteure einer Geschichte gemeinsam mit den Kindern zu entwickeln, die oft gar nicht miterzählt werden. Erst wenn ich mich allen handelnden Akteuren wertschätzend zugewandt habe, bin ich vermutlich für Lösungen ohne verlierende Position bereit und offen.
Als Impuls kann folgende Idee dienen: “Wie könnt die Geschichte ohne Verlierer erzählt werden?”
Mit welcher Gechichte hast du Lust, dies auszuprobieren? Zu welchen Überlegungen seid ihr gekommen?
Was erlebst du mit den Impulsen?
Dieser Beitrag bietet eher Denkanstöße als fertige Lösungen und wartet darauf, durch deine Erfahrungen im Alltagsleben der Kita bereichert zu werden. Wenn du also Eindrücke zum Thema dieses Materials gesammelt, mit den Kindern etwas ausprobiert oder entdeckt hast, dann hinterlasse doch bitte einen Kommentar.
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